Ammonite

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Romantic

Von: Philipp Portmann

Von alten Fossilien und junger Liebe

Mitten im 19. Jahrhundert zieht sich in Regisseur Francis Lee‘s neuem Werk die einst gefeierte Paläontologin Mary gefrustet von der männlich-dominierten Wissenschaftswelt Londons in ein Provinznest an der Küste im Südwesten Englands zurück. Doch eines Tages nimmt ihr allzu vorhersehbares Leben einen ganz anderen, unerwarteten Verlauf.

Es ist ein Tag wie schon unzählige andere davor: Mary geht in aller herrgottsfrüh an die raue Küste, um nach Versteinerungen, sogenannten Ammoniten zu suchen, sie in ihrem Atelier zu bearbeiten um sie schliesslich in ihrem Laden an Touristen zu verkaufen. Nebenbei pflegt sie auch noch ihre kranke Mutter. Es ist ein hartes und bescheidenes Leben, mit dem sich Mary arrangiert hat. Doch wirklich glücklich ist sie nicht. Das werden die Zuschauerinnen und Zuschauer von den ersten Minuten an merken, denn Mary lächelt nie.

Doch dann tritt völlig unverhofft der schottischen Geologen und Paläontologen Roderick Murchison in ihren Laden und fragt, ob er seine schwermütige junge Ehefrau Charlotte zur Erholung in ihre Obhut geben kann, denn er möchte seine Europareise, auf der sie sich gerade befinden, ungestört fortzusetzen. Ein Angebot, das Mary eigentlich sofort ablehnen will, doch aus finanziellen Gründen gar nicht ablehnen kann. So ist das Verhältnis der beiden unterschiedlichen Frauen zunächst kühl. Charlottes Zustand verschlechtert sich zusehends und mündet so in einer weiteren Belastung für die alleinstehende Paläontologin.

Viel Authentizität, trotz grosser Namen

Als sich Mary nun intensiver um Charlotte kümmert, nimmt der Film von Regisseur Francis Lee eine weitere Wendung: Langsam weicht die Abneigung in Zuneigung. Der Anfang einer zarten Liebe, die sich bald ins leidenschaftliche steigert und Mary wie auch Charlotte endlich ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Doch die Beziehung bleibt kompliziert, denn Roderick Murchison will ja irgendwann seine Ehefrau wieder zurück haben.

Lee zeigte nicht nur bei der Inszenierung sondern auch bei der Besetzung viel Fingerspitzengefühl. Die hart arbeitende Mary wird von Kate Winslet gespielt, während Saoirse Ronan in die Rolle der kranken und zerbrechlichen Charlotte schlüpft. Beide nehmen sich meisterhaft zurück, was dem Film viel Authentizität verleiht und die Hochglanzbilder früherer Filme der beiden, schnell in den Hintergrund rücken lässt – eine Bedingung, damit dieser Film überhaupt funktionieren kann.

Nicht biografisch, aber voller Symbolik

Die alleinstehende Fossiliensammlerin Mary Anning gab es wirklich, sie war eine der ersten weiblichen Paläontologen überhaupt. Das Suchen und Verkaufen von Fossilen lernte sie von ihrem Vater Richard, der als Tischler arbeitete und mit diesem Hobby sein Einkommen aufbesserte. Und auch Charlotte und Ihr Ehemann existierten. Dass Mary eine Beziehung mit einer Frau hatte, ist jedoch nicht übermittelt.

Fragt sich nur, warum einer existierenden Person etwas angedichtet wird? Doch kann man ausschliessen, dass es nicht so war? Lee will anhand von Marys Leben vielmehr an eine Zeit erinnern, in der die Gesellschaft patriarchalisch geprägt war und Frauen im Besitz ihrer Väter oder Ehemänner waren. Zudem glaubten Ärzte damals daran, dass Frauen gar keine sexuellen Lustorgane haben, und sich niemand darüber Gedanken machte, dass zwei Frauen in einer Beziehung miteinander leben könnten.

Noch nicht am Ziel

Regisseur und Autor Francis Lee erzählt mit diesem wunderbar aufgebauten, sensiblen inszenierten und unaufgeregt erzählten Werk von einer fiktiven Affäre, die stellvertretend für die vielen gleichgeschlechtlichen Beziehungen steht, die natürlich auch zur damaligen Zeit existierten, jedoch nur heimlich gelebt werden konnten.

Seine Metapher, dass Vorurteile wie Fossilien aus einer längst vergangenen Zeit sind, passt bestens zu der noch jungen LGBTQ-Bewegung und zeigt gleichzeitig, wie weit sich die Emanzipation und Akzeptanz verschiedener sexuellen Ausrichtungen in den letzten 200 Jahren entwickelt haben und wie weit der Weg noch ist, der vor uns liegt.

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