A Most Violent Year

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Thriller

Interview J.C. Chandor

Interview: Raya AbiRached

J.C. Chandor: «Zuschauer sollen im Kinosessel statt auf dem Sofa Platz nehmen»

Regisseur von A MOST VIOLENT YEAR J.C. Chandor spricht im Interview mit Kinowetter über seinen neusten Streifen, die Wahl der Schauspieler und die Stadt New York.

J.C. Chandor, haben Sie Spass daran, wenn Ihre Filme dem Publikum unter die Haut gehen? Natürlich, die Zuschauer sollen im Kinosessel statt auf dem Sofa Platz nehmen. Ich mag Filme, bei denen ich mitgerissen werde, die aber auch Tiefgang aufweisen. Im Laufe meiner drei Filme konnte ich mich hoffentlich mit zunehmendem Wissen auch steigern. Ich bediene mich bei allen Genres, egal ob Horror, Thriller oder Gangsterstreifen. Obwohl „A Most Violent Year“ im Kern charakterbasiert bleibt, reisst er einen emotional hoffentlich genauso mit, wie leichterer Film.

Die Handlung scheint zeitlos, spielt aber 1981. Warum haben Sie sich für dieses Jahr entschieden? 1981 ist das gewalttätigste Jahr in der Geschichte New Yorks. Höchstens 1991 kann wegen der Verbreitung von Crack noch mithalten, aber das war eine eher begrenzte Situation. Dagegen war 1981 tragischerweise die gesamte Stadt betroffen. Ich habe noch nie einen Film über eine bestimmte Zeit gedreht und fand spannend, dass sich hier die Zukunft New Yorks entscheidet. Die Stadt konnte entweder enden wie im Wilden Westen oder sie musste einen neuen Weg einschlagen. Mir eine bestimmte Zeit vorzunehmen, lässt mich näher an den Kern des Films. In den USA sind wir besessen von Waffen. Manche betrachten sie als Mittel zu einer friedlichen Gesellschaft, aber daran glaube ich nicht. Der Film fragt nicht wie real, beängstigend oder zerstörend Gewalt ist, darin sind wir uns wohl alle einig. Im Zentrum steht dagegen die Frage, wie wir darauf reagieren.

Ihre Figuren folgen jeweils ihrem eigenen Moralempfinden... Bei „All Is Lost“ konzentrierte ich mich allein auf eine Person. Hier will ich dem Publikum neben der Handlung auch die einzelnen Figuren nahe bringen. Die Motivation der Protagonisten bleibt in „A Most Violent Year“ zunächst unklar. Natürlich vermutet man bestimmte Motive und genau mit dieser Erwartung spiele ich. Die Hauptfigur Abel, gespielt vom Oscar Isaac, ist ein lateinamerikanischer Einwanderer. Filme zeigen solche Männer üblicherweise entweder als „Scarface“ oder als aufopfernde Familienmenschen. Unglaublicherweise wird dieser grosse Teil unserer Bevölkerung selten nuanciert dargestellt. Abel ist weder ein Heiliger noch ein reiner Sünder, sondern glaubt aus ethischen und pragmatischen Gründen, dass Feuer nicht mit Feuer bekämpft werden sollte. Mich fasziniert diese Figur und Oscar Isaac spielt ihn wunderbar. Als Drehbuchautor kann ich mir kaum etwas Schöneres vorstellen, als jemanden, der meine Worte aufnimmt und sie sich zu eigen macht.

Dabei zeigen Sie auch, wie wegweisend Entscheidungen sein können... Ja, die beiden Hauptfiguren sind ein Unternehmerpaar, das erfolgreich sein Geschäft mit Heizöl aufgebaut hat. Jetzt steht ihre Zukunft in Frage und sie haben keine Möglichkeit sich einer Entscheidung zu entziehen. Aber ähnelt eher einem Langstreckenläufer als einem Sprinter. Von einem kleinen Geschäft gelangt er zu Reichtum, da zahlte sich seine lange Konzentration auf ein bestimmtes Ziel aus. Er hegt keine spezielle Leidenschaft für Heizöl, für ihn ist Öl nur ein Mittel zum Zweck. Seine Frau fasst dagegen ein spezifisches Ziel ins Auge. Gemeinsam bilden sie ein besonderes Team.

Haben Sie Ihre Hauptdarsteller in Cannes getroffen? Ich kannte Oscars Filme, aber sonst wusste ich noch nichts über ihn. Jessica und ich haben uns in Cannes über das Projekt unterhalten. Einige ältere Schauspiele kamen für die männliche Rolle in Frage, aber ich konnte mich mit niemandem auf das Drehbuch einigen. Viele wollten statt der Nuancen lieber eine eindeutige Schwarz-Weiss-Sicht. Jessica erzählte mir von dem Typen aus ihrer Schauspielschulklasse, dessen Mutter aus Guatemala und sein Vater aus Kuba kommen. Sie erzählte mir wie er in Miami aufwuchs und dann die Juilliard-School besuchte, dann erhielt seine Leistung im Film der Coen-Brüder viel Lob und danach traf ich ihn zum ersten Mal auf ihre Empfehlung hin. Ich hatte schon fast angenommen, dass er der Richtige für die Rolle ist und dann schrieb sie mir noch einen leidenschaftlichen Brief dazu und wir kamen zum gleichen Schluss. Am Set machte er vom ersten Tag an grossen Eindruck.

Ist die Wahl der richtigen Schauspieler entscheidend? Ja, das ist grundlegend. Schauspieler sind keine unbeschriebenen Blätter, sie bringen sich selbst ein und das Publikum will sie näher kennen. Als Regisseur will ich Schauspieler so einsetzen, dass sie ihre Stärken einsetzen und nach der ersten Viertelstunde des Films hinter ihren Figuren verschwinden können. Selbst jemand so bekanntes wie Robert Redford wurde in „All Is Lost“ einfach zu einem Typen, der auf seinem Boot feststeckt. So fühlen die Zuschauer, wenn ich meinen Job erledige.

Wie haben Sie New York in diesem Gangster-Style zum Leben erweckt? Am Anfang standen Recherche und viele Fotos aus dieser Zeit. Meine brillante Kostümdesignerin Kasia Walicka-Maimone ist selbst eine polnische Einwanderin, die jetzt in Greenpoint lebt. Genau in der Gegend, in der auch der Film spielt. Dort sieht es jetzt natürlich anders aus als 1981, damals sammelte sich die gesamte Ölindustrie am Kanal, der Brooklyn von Long Island trennt. Das Viertel ist aber immer noch geprägt durch polnische Immigranten, wie Jessicas Filmfigur. Kasia gelang eine wunderbar subtile Interpretation des neureichen Stils dieser Zeit für eine Frau, die sich in der Welt beweist. Filmemacher hat man viele Mittel zur Verfügung, aber viele Einstellungen zeigen die echte Stadt, in die wir entweder Graffiti eingebracht oder moderne Bauwerke ausgespart haben. Dazu zeigen wir einen gewissen Verfall und suchten Locations. Wir dürfen es aber auch nicht übertreiben. Es liegt an mir zu verhindern, dass etwas heraussticht. Ich bin sehr zufrieden, wie uns das im Film gelungen ist.

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