Der letzte Wolf

hot
Family

Interview: Sarah Huwiler

Jean-Jacques Annaud: «Wölfe sind weise»

ZÜRICH In seinem neusten Film DER LETZTE WOLF widmet sich der Erfolgsregisseur Jean-Jacques Annaud ganz den Wölfen. Im Interview spricht der Franzose über die zeitaufwändigen Dreharbeiten und seine Beziehung zum Alpha-Tier.

Jean-Jacques Annaud, wie ist es Ihnen gelungen, mit wilden Tieren zu drehen? Es war ein sehr langer Prozess. Man kann Wölfe nicht trainieren, man kann sie aber imprägnieren. Man fängt damit an, wenn sie Babys sind. Im Alter von 3 Wochen öffnen sie ihre Augen und sehen ihre Mutter und ihren Vater, in unserem Fall zweibeinige Wölfe. Als ich den Film im 2008 anfing, brauchten wir verschiedene Generationen, das heisst, Babys, Teenager-Wölfe und erwachsene Wölfe. Wir mussten den Drehplan dem Alter der Tiere anpassen.

Welche Herausforderungen haben Sie am Set angetroffen? Am wichtigsten war, dass die Tiere uns vertrauten und dass sie die Leute um sie herum mochten. Auch wenn die Crew aus 600 Leuten bestand, hielten sich alle an meine Regeln, es durfte am Set z.B. nicht gegessen werden und die Leute durften kein Essen auf sich tragen. Ausserdem mussten wir sicherstellen, dass die Wölfe glücklich sind. Es ist eigentlich gleich wie bei Kindern, man darf nicht zu viel von ihnen abverlangen, da sie das Drehen sonst mit etwas Unangenehmen verbinden und so nicht mehr mit uns zusammenarbeiten. Ausserdem mussten wir sichergehen, dass die Tiere nicht müde sind. Um das zu erreichen, mussten wir aufpassen, dass wir nicht zu weite Strecken fuhren. Wenn immer ich einen Drehort ausgesucht hatte, musste ich dort ein Hotel für die Wölfe bauen.

Und wie sieht so ein Hotel für Wölfe aus? Man brauchte ein umzäuntes Gelände mit privaten Zimmern für die Tiere. Dazu eine Toilette, einen Fütterungsbereich, einen Spiel- und Übungsplatz. Das Problem war, dass Wölfe hoch springen können. Also bauten wir 5 Meter hohe Zäune, welche ausserdem 1.5 Meter tief in den Boden gingen, da Wolfe auch graben. Das war jedes Mal eine teure und aufwändige Angelegenheit. Aber bei einem Film wie diesem muss man sich dessen bewusst sein. Wie schon gesagt, ist es gleich wie bei Kindern, es ist wichtig, dass sie glücklich am Set sind. Also liessen wir liessen die Wölfe zwischen den Szenen miteinander spielen. Ich hatte einen tollen Tiertrainer, welcher mir Bescheid gab, wenn ein Tier müde war. Dann war der Drehtag für die Wölfe zu Ende und ich widmete mich den Schauspielern.

Was für eine Beziehung haben Sie zu den Wölfen aufgebaut? Als ich das erste Mal auf den Alpha-Wolf traf, entschied dieser, dass ich sein Freund bin. Er legte sich auf den Rücken, liess sich streicheln und strich mir um die Beine. Danach ging er zu seinem Rudel und rieb sein Fell an dasjenige der anderen. So teilte er den anderen mit, dass ich sein Freund bin. Alle in meiner Crew meinten, das sei, weil ich der Regisseur bin, deshalb sei das Alpha-Tier so nett zu mir. Der Tiertrainer widersprach dem und sagte, dass dies nichts mit meiner Position zu tun hätte, der Wolf möge mich einfach. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Wolf jeden Tag mutiger, knabberte sogar an meinen Ohren und meiner Nase und erfand den Zungenkuss neu (lacht).

Hatten Sie erwartet, dass sie so positive Erfahrungen mit den Wölfen machen würden? Nein, gar nicht. Ich hatte erwartet, dass ich geduldig sein musste. Ich hatte Angst, dass sich meine Crew nicht an die Regeln hält und ein Wolf gegenüber einem Schauspieler wütend wird. Das wäre sehr gefährlich gewesen. Wenn ich einen solchen Film drehe, bin ich nie 100% sicher, dass alles gut gehen wird. Glücklicherweise hatte ich ein wundervolles Team um mich herum.

Wenn Sie einen Wolf mit einem Wort beschreiben müssten, welches wäre das? Intelligenz. Sie sind weise.

Sind Ihnen Ähnlichkeiten zu den Menschen aufgefallen, als Sie die Wölfe beobachteten? Ich bin ein Wolf. Die Wölfe sind auch ich. Wenn man sich ein Rudel Wölfe anschaut, ist dies eine Karikatur einer Gruppe Menschen. Der König und die Königin sind diejenigen, welche zuerst essen, alle anderen müssen hinten anstehen. Nur die beiden dürfen sich paaren, die anderen müssen warten. Wir Menschen benutzen die Sprache, haben Autos, Iphones, etc. Aber tief in uns was wollen wir wirklich: Territorium, Nahrung und am besten sich paaren. Es tut mir leid, wenn ich das so vereinfache und vielleicht jemanden damit verstimme. Warum wollen wir einen Ferrari besitzen? Um schneller zu fahren? Nein, es geht darum eine mögliche Partnerin zu beeindrucken. Warum wollen die Menschen Geld? Geht es wirklich darum, mehr Dinge zu kaufen? Nein, es geht um die Hierarchie und um Macht zu zeigen.

Der Film basiert auf dem Buch des chinesischen Studenten, welcher bei den Nomaden lebte und den kleinen Wolf grosszog. Haben Sie ihn getroffen und darüber gesprochen, dass Sie seine Geschichte verfilmen möchten? Ich war in China eingeladen und traf den Autor. Wir fuhren in die Mongolei und er zeigte mir jeden Schauplatz, wo er mit seiner Herde weidete, etc. Nachdem ich die Leidenschaft des Autors sah und so vieles kennelernte, reiste ich immer wieder in die Mongolei. Ich lebte über 1 Jahr dort und sie wurde ein Teil von mir. Ich habe heute noch Kleider, die nach Schafe riechen. Ich fand es unglaublich.

Aktuelle Streaming Angebote für diesen Titel:

Powered by JustWatch